Immer auf dem neusten Stand bleiben!

Mitglied werden

Falsch verstandene Koalitionsfreiheit - Kommt die Tarifeinheit zurück? -

Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD wird von vielen Diskussionen begleitet: Mütterrente hier, PKW-Maut dort, kommt der Mindestlohn – und wie hoch wird er letztendlich sein? Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, weil ausnahmsweise ohne große Debatte, haben sich die Großkoalitionäre auch darauf verständigt, die sogenannte Tarifeinheit gesetzlich zu regeln. Worum geht es?

Im Tarifrecht hatte die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in der Vergangenheit den Grundsatz der sogenannten „Tarifeinheit“ entwickelt. Nach dem Prinzip: „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ wurden danach Tarifverträge, die nicht die Arbeitsverhältnisse aller im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter umfassten, ausgeschlossen. Gegen diese faktische Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit der Berufsgewerkschaften regte sich schon von Beginn an Widerstand. Mit den eigenständigen Tarifabschlüssen von Marburger Bund, Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), GDL etc. wurde dieser Grundsatz in der Praxis bereits geschleift, bevor sich 2010 endlich auch das Bundesarbeitsgericht (07.07.2010, 4 AZR 549/08) von seiner bisherigen Rechtsprechung verabschiedet hat. Damit war auch offiziell die Türe offen für berufsspezifische tarifliche Sonderregelungen der Spartengewerkschaften, wie beispielsweise des Marburger Bundes für die Krankenhausärzte, der GdF für die Lotsen der Regionalflughäfen - oder für die TGL.

In der großen Koalition werden nun voraussichtlich zwei Parteien zusammenfinden, die bereits in ihren Wahlprogrammen jeweils die Wiederherstellung der Tarifeinheit versprochen haben. Im Koalitionsvertrag findet sich hierzu folgender Abschnitt:

 

„Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben. Durch flankierende Verfahrensregelungen wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen.“

 

Was will uns die zukünftige Regierung damit sagen? Nichts anderes, als dass sie in Zusammenarbeit mit DGB und Arbeitgeberverbänden eine Regelung treffen will, die wieder dazu führt, dass in jedem Betrieb nur ein Tarifvertrag gilt – und zwar derjenige der Gewerkschaft, die in diesem Betrieb über die meisten Mitglieder verfügt.

Bemerkenswert ist dieser Entschluss insbesondere deshalb, weil das BAG in seiner o.a. Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Verdrängung des Tarifvertrags einer Gewerkschaft – und nichts anderes erfolgt nach dem Grundsatz der Tarifeinheit – mit Blick auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit verfassungswidrig ist. „Koalitionsfreiheit“ hat dabei übrigens ganz und gar nichts mit der Regierungsbildung zu tun und mit dem Wunsch, sich gemeinsam verrückte Ziele für die Regierungszeit zu setzen. Es geht vielmehr um die grundgesetzliche Freiheit, sich in der Gewerkschaft seiner Wahl zu organisieren und von dieser bei der Regelung der Arbeitsbedingungen vertreten zu lassen.

Das Problem sehen Union und SPD auch. Deswegen wollen sie mit „Verfahrensregelungen“ eine Lösung hierfür schaffen. Dabei könnte es darum gehen, der „Minderheitengewerkschaft“ einen Platz am Verhandlungstisch der „Mehrheitsgewerkschaft“ einzuräumen oder einen eigenen Verhandlungsanspruch für die Dauer der Verhandlungen der „Mehrheitsgewerkschaft“. Auch andere Alternativen werden diskutiert. Eines ist jedoch klar: Die Wiedereinführung des Grundsatzes der Tarifeinheit ergibt für seine Verfechter nur Sinn, wenn der „Minderheitsgewerkschaft“ die Möglichkeit genommen wird, weiterhin autonom zu entscheiden, wann und wie sie ihre tariflichen Interessen ggf. mit dem Mittel des Streiks verfolgt.

Dass derartige Verlegenheitslösungen keine eigenständigen Tarifverhandlungen um einen eigenen Tarifvertrag ersetzen können und die „Minderheitsgewerkschaften“ damit in der Ausübung ihrer Grundrechte gegenüber den „Mehrheitsgewerkschaften“ arg benachteiligt würden, ist offensichtlich. Tarifverhandlungen auf Augenhöhe setzen Mächtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit voraus. Ohne die Möglichkeit, schlimmstenfalls selbstbestimmt zum Mittel des Streiks zu greifen, sind sie - wie das BAG sagt - nur „kollektives Betteln“. Den verfassungsmäßigen Bedenken des BAG gegen das Prinzip der Tarifeinheit wird man so wohl nicht wirksam begegnen können.

Hinzu kommen allerhand praktische Probleme: Wer prüft die Mehrheitsverhältnisse der Gewerkschaften im Betrieb? Was, wenn diese sich ändern, ggf. sogar mehrmals? Und was ist, wenn z. B. der Marburger Bund zwar nur die Krankenhausärzte vertritt, in der Belegschaft aber mehr Mitglieder hat als ver.di? Stehen die Pflegekräfte dann ohne Tarif da? Und werden ver.di und Co. ein Gesetz, nach dem sie eventuell selbst hier und dort in die Rolle der „Minderheitsgewerkschaft“ geraten könnten, überhaupt wollen?

Es wird für die TGL wie auch alle anderen Sparten- und Berufsgewerkschaften also auch viel davon abhängen, wie genau die zukünftige Regierung ihr Vorhaben umsetzt: Sollen etwa die Tarifverträge der UFO, wenn sie unter den Kabinenmitarbeitern der DLH mehr Mitglieder hat als die VC unter den Piloten, die Tarifverträge der VC verdrängen? Oder wird es doch so sein, dass man darauf abstellt, ob und wenn ja: Wo sich die Organisationsbereiche der Gewerkschaften überhaupt überschneiden und wer in diesem Bereich über mehr Mitglieder verfügt? Dann könnten UFO und VC – deren Mitgliedschaft sich gar nicht überschneidet -friedlich nebeneinander existieren. Und ob die TGL bei der LHT in ihrem Organisationsbereich tatsächlich weniger Mitglieder hat als ver.di, wäre dann erst noch zu klären.

Ein frommer Wunsch ist schnell in den Koalitionsvertrag aufgenommen – gerade, wenn man sonst nicht viele Gemeinsamkeiten findet und sich über das Kleinklein der rechtlichen Umsetzbarkeit erst mal keine Gedanken macht. Aber auch eine Regierung kann nicht einfach ein Gesetz schaffen, weil alle Beteiligten es wollen. Es muss schon verfassungsgemäß sein. Bereits die schwarz-gelbe Vorgängerregierung hat sich an der gesetzlichen Wiederherstellung der Tarifeinheit versucht und letztlich aus guten Gründen von einer Regelung Abstand genommen. Und selbst wenn das Gesetz trotz der bisher gescheiterten Anläufe und der massiven rechtlichen Einwände überhaupt zustande kommt und der Bundespräsident es überhaupt unterschreibt, wird es ganz sicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde werden, so wie es beispielsweise auch bei der gesetzlichen Regelung zum Abschuss von Flugzeugen im Luftsicherheitsgesetz der Fall war. Und dabei wird neben der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit die Frage eine Rolle spielen, ob es denn ein Erfordernis für eine derartige Einschränkung der Koalitionsfreiheit gibt. Und auch das hat das BAG in der o.a. Entscheidung bereits verneint.

Ein Gesetz zur Tarifeinheit liegt damit noch in der Ferne, erst recht sein Inhalt im Einzelnen. Die TGL und alle anderen Berufs- und Spartengewerkschaften werden jetzt ihren Einfluss auf den Gesetzgeber geltend machen müssen, um diesen weitgehenden Eingriff in die Koalitionsfreiheit zu unterbinden. Dabei haben sie nicht nur die besseren Argumente, eine Vielzahl ungeklärter Fragen und das BAG, sondern auch das Grundgesetz auf ihrer Seite.

 

David Schäfer

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

Weißmantel & Vogelsang Bremen, Frankfurt

Dein Ansprechpartner,

unsere Vertrauensleute vor Ort!

Luftfahrtticker

Termine

MärzApril 2024Mai
MoDiMiDoFrSaSo
1234567
891011121314
15161718192021
22232425262728
293012345